Aus den Anfängen des VfR
Als man dem Prinzregenten eine Linde pflanzte
"Gestern Abend führten die Mitglieder des hiesigen Turnvereins zum Besten ihrer in diesem Jahr zu erbauenden Turnhalle eine Theatervorstellung auf, welche den Betrag von 50 Mark ertrug", schrieb die Grünstadter Zeitung am 2. Januar 1899. Gemeint ist der Hettenleidelheimer Turnverein "Gut Heil", als dessen Nachfolger sich der VfR versteht. Der Verein war damals genau 20 Jahre alt, und schon bei früheren Generalversammlungen war von Theaterrequisiten die Rede. Das Spiel auf den Brettern, die für einige Abende die Welt bedeuten, begleitete den Verein - mit Unterbrechungen - also ziemlich von Anfang an.
Doch wie war dieser Anfang? Was ist heute über die ersten Vereinsjahre noch herauszufinden? Die Grünstadter Zeitung lässt uns im Stich - einfach deshalb, weil sie erst 1886 zu erscheinen begann. Eine Lokaltageszeitung für Hettenleidelheim gab es vorher wahrscheinlich nicht, oder sie ist nicht überliefert. Auch die Überlieferung im Verein selbst ist dünn:
"Es finden sich keine vergilbten Blätter und Dokumente mehr, keine Annalen und Protokolle, aus denen die Geschichte des Turnvereins Gut Heil 1879 Hettenleidelheim nachzulesen wäre. Zweimal hat diesen Verein das Mißgeschick getroffen, daß seine sämtlichen schriftlichen Dokumente der Vernichtung anheimfielen. Einmal, im Jahre 1910, als ein geisteskranker Bruder des damaligen Schriftführers alle vorhandenen Schriftstücke, Bücher und Protokolle zerschnitzelte und zerkleinerte, und das andere Mal, als nach der unter politischem Druck erfolgten Auflösung des Vereins im Jahre 1935 ein auswärtiger Pächter der Turnhalle hemmungslos alles noch vorhandene Vereinsinventar, auch Bücher, Akten und Protokolle, vernichtete," schreibt Karl Blum, der dennoch in den 50er Jahren noch einiges aus mündlicher und schriftlicher Überlieferung zusammentragen konnte.
Dass in den Jahren nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71, der zur Gründung des Zweiten Kaiserreichs geführt hatte, Turnvereine entstanden, war keine Besonderheit Hettenleidelheims. Schon von den Zeiten des Turnvaters Jahn an war der Zweck der Leibesertüchtigung mit nationalistischmilitärischen Gedanken eng verbunden gewesen; letztere nahmen nun einen bedeutenden Aufschwung. "In dem damaligen Kanton Grünstadt bestand nur in der Kantonsstadt selbst ein Turnverein. Im Jahre 1878 erfolgte die Gründung eines gleichen Vereins im benachbarten Eisenberg. Im Kanton Grünstadt war Hettenleidelheim mit damals rund 1100 Einwohnern die erste Landgemeinde, die mit der Gründung eines Turnvereins im Jahre 1879 dem Vorbild Grünstadts und Eisenbergs folgte", schreibt Blum. Schon vorher war auf einer Wiese in den sogenannten Webergärten an der Mittelhaide geturnt worden, jedoch in ganz unorganisierter Form und mit improvisierten Turngeräten.
Am Anfang beim „Granobel"
Karl Blum berichtet weiter: „Gegenüber dem heutigen Rathaus, etwa auf dem Hofplatz des Hauses Hauptstraße Nr. 52 (Unterländer-Hock) befand sich damals noch eine kleine Schankwirtschaft. Der Volksmund hieß den Wirt, Matthias Hagenburger, den Granobel (von dem französischen grand noble = Hochvornehmer). In dieser Gastwirtschaft erfolgte im Jahre 1879 die Konstituierung des Vereins.
25 junge Männer traten sofort bei. Der erste Turnrat setzte sich aus den Mitgliedern Johannes van Recum, Georg Hillenbrand, Peter Stiefenhöfer, Leonhard Scheuermann, Nikolaus Herrmann, Adam Rempel und Johannes Kany zusammen. Vom Jahre 1880 an übernahm der tatkräftige Christian Hoffmann (1860-1925) die Leitung des jungen Vereins." Seit 1881 wurde im Garten des "Grünen Baums" geturnt, bis zum Turnhallenbau in den 20er Jahren.
Der Verein schickte schon kurz nach der Gründung eine Riege zum Kreisturnfest in Neustadt. „Abgesandte besuchten die Versammlungen des Pfälzischen Turnerbundes in Kusel. Auf dem Wittelsbacher Fest am 25. September 1880 konnte die schmucke Turnermannschaft mit einem rührigen Tambour antreten. Das erste örtliche Turnfest fand am 15. Mai 1881 statt. Die Turnerschar vermehrte sich zusehends. Am 5. August 1883 war der Hettenleidelheimer Verein auf dem 2. Oberrheinischen Kreisturnfest zu Neustadt/Haardt mit dem 18. Preis hinter dem Bruderverein Zweibrücken im Vereinswettturnen erfolgreich", berichtet Karl Blum von frühen Aktivitäten. Die Grünstadter Zeitung nennt weitere: 1886 ist beispielsweise in Kirchheimbolanden das 25-jährige Stiftungsfest des dortigen Turnvereins. Der Turnverein Hettenleidelheim erringt beim Wetturnen immerhin den dritten Preis. 1887 ist man beim Gruppenturnen des Grünstädter Turnvereins dabei, im gleichen Jahr beim zweiten Stiftungsfest des 1885 gegründeten Wattenheimer Bruder Vereins.
„... und war sofort tot"
Die Turner sind auch mit unerfreulichen Ereignissen konfrontiert: "01.07/02.07.1887: Wie wir soeben hören, verunglückte gestern Abend in Hettenleidelheim in der Tongrube Herrmann durch den Einsturz einer Erdmasse ein 24 jähriger unverheirateter Tongrubenarbeiter, Michael Fürst, und war sofort tot", berichtet die Grünstadter Zeitung und hebt den Dank der Hinterbliebenen für "erhebenden Trauergesang des Gesangsvereins und Teilnahme des Turnvereins" hervor.
1888 beschließt der Hettenleidelheimer Turnverein "die Anschaffung einer Vereinsfahne", die Anfertigung wird dem Stickereigeschäft L. Albrecht, Kaiserslautern, anvertraut. Die Fahnenweihe gerät zu einem großen, allerdings durch schlechtes Wetter gestörtem Fest (über welches im Programmheft des Vorjahres ausführlicher berichtet wurde).
Am 5. Juni 1889 meldet die Zeitung: "Zufolge kürzlich gefaßten Beschlusses wird das 4. Bezirksturnfest des 3. Bezirks (Kirchheimbolanden) am 7. Juli dieses Jahres dahier stattfinden und werden die Einladungen hierzu bereits in den letzten Tagen an die betreffenden Vereine versandt." Geplant sind: Musikalischer Zapfenstreich, Abendkonzert, Festball, Musikkapelle des 17. Infanterie-Regiments Germersheim. Vereins- und Einzelturnen, allgemeine Übungen, Kürturnen, Konzert, Festzug. Rund 20 Turnvereine beteiligen sich. Das Wetter ist herrlich, Im Dorf wehen Flaggen in bayerischen und deutschen Farben, um acht Uhr ist Gottesdienst für die Turner. Beim Vereinsschauturnen erhalten Kirchheimbolanden, Grünstadt und Eisenberg Preise I. Klasse. Hettenleidelheim und sieben andere Vereine Preise II. Klasse. Natürlich hält der Vorstand, Kaufmann Christian Hoffmann, auf dem eigens hergerichteten Festplatz eine Rede, und zum Abschluss gibt es einen Ball bis in die Morgenstunden.
„... verbunden mit Zöglingspreisturnen"
Aber auch ohne auswärtige Gäste lässt sich's angenehm feiern. Am 10. September 1891 verkündet ein Zeitungsinserat: "Sonntag, den 13. September, Nachmittags 3 Uhr, veranstaltet der Turnverein Hettenleidelheim auf dem Turnplatze im Garten des Wirtes J. Kany ein locales Turnfest, verbunden mit Zöglingspreisturnen, wobei eine Militärkapelle concertieren wird. Im Namen des Turnvereins: Der Vorstand."
Ein Blick auf eine für jene Tage, als die Pfalz noch bayrisch war, typische Festlichkeit soll diesen Blick in die Frühzeit des Vereins beschließen. Gefeiert wurde - überall - am Sonntag, 12. März 1893, der Geburtstag des allseits verehrten Prinzregenten Luitpold, der anstelle des verrückten Königs Otto über Bayern herrschte.
Alle Vereine, alle Bevölkerungskreise sind an dieser Feier beteiligt. Schon um 6 Uhr ist Tagreveille (Aufwecken), es folgen Festgottesdienst und Festzug, in ihm marschieren Krieger- und Soldatenverein, Turnverein, Jünglingsverein. Eine neue Luitpoldlinde wird gepflanzt - auch das ein damals verbreiteter Brauch. Bedauerlicher Weise war die 1891 gepflanzte erste Luitpoldlinde eingegangen. Peter Herrmann hält die Festrede.
Im prächtig geschmückten Saal Mayer (später "Deutsches Haus") gibt es eine interne Feier. Dann folgt ein Konzert, abends ein Bankett. Es sprachen Christian Hoffmann, der Turnvereinsvorsitzende, außerdem Peter Herrmann, Leonhard Seidel und Nikolaus Herrmann. Man sendet ein Glückwunschtelegramm an Seine Königliche Hoheit, den Prinzregenten. Und selbstverständlich bringt man Toaste auf den verehrten Landesvater Luitpold, das Haus Wittelsbach, den fernen preußischen Kaiser, den Soldatenverein, Bayern und die Pfalz aus.
ROLAND HAPPERSBERGER